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Ein Apell für starke Standards:

Aktualisiert: vor 1 Tag

Warum nachhaltige Lieferketten und starke Umwelt- und Sozialnormen Zukunftsfaktoren sind


Ein Blog von Sid Petersen, Geschäftsführer der First Climate Consulting GmbH


Science-Based Targets für KMU


In der vergangenen Woche einigten sich Europäisches Parlament und Rat in Brüssel auf einen politischen Kompromiss, der zentrale Elemente des europäischen Nachhaltigkeitsrahmens neu justiert. Im Mittelpunkt standen dabei das Lieferkettengesetz und die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die beide in ihrem Anwendungsumfang deutlich eingeschränkt wurden.


Diese Entscheidungen sind Teil einer breiteren politischen Agenda, die unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ auch weitere klima-, umwelt- und sozialpolitische Regelwerke betrifft – darunter das EU-Waldschutzrecht sowie zeitliche Anpassungen im europäischen Emissionshandel. Getrieben wird diese Entwicklung vor allem von einem Narrativ: dem Versprechen, europäische Unternehmen durch weniger Regulierung wettbewerbsfähiger zu machen. Doch hält dieses Versprechen in der Praxis?


Eine Entscheidung mit Signalwirkung

Das EU-Lieferkettengesetz – die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) – soll Unternehmen dazu verpflichten, menschenrechtliche und ökologische Risiken entlang ihrer Wertschöpfungsketten systematisch zu identifizieren, zu priorisieren und zu adressieren. Die nun verabschiedete Fassung setzt deutlich höhere Schwellenwerte an als der ursprüngliche Entwurf, sie reduziert den Kreis der betroffenen Unternehmen erheblich und schwächt zentrale Durchsetzungsmechanismen ab. Ähnliche Anpassungen werden auch bei den Regelungen der CSRD vorgenommen.


In ihrer Summe bewirken diese Entscheidungen vor allem eines: Sie verändern den regulatorischen Erwartungsrahmen. Nicht, weil Nachhaltigkeit plötzlich an Bedeutung verlieren würde – sondern weil das Vertrauen in die Beständigkeit politischer Rahmenbedingungen unter Druck gerät.


In Gesprächen mit Unternehmen, die wir führen, zeigt sich das in einer zunehmenden Verunsicherung. Viele Organisationen investieren seit Jahren in nachhaltige Lieferketten, Klimastrategien sowie belastbare Daten- und Governance-Strukturen – in dem Vertrauen darauf, dass europäische Vorgaben verlässlich und langfristig gelten. Die Praxis stellt sich jedoch ambivalent dar: Einerseits wird Entlastung in Aussicht gestellt, andererseits wächst die Unsicherheit darüber, welche Standards künftig tatsächlich Bestand haben werden. Gerade für international agierende Unternehmen mit komplexen Lieferketten ist diese Unsicherheit ein strategischer Risikofaktor.


Wettbewerbsfähigkeit braucht Verlässlichkeit

In unserer täglichen Beratungspraxis sehen wir klar: Wettbewerbsfähigkeit entsteht nicht primär durch möglichst niedrige Anforderungen, sondern durch Verlässlichkeit und Planbarkeit. Unternehmen, die frühzeitig in robuste Nachhaltigkeits-, Risiko- und Governance-Strukturen investiert haben, profitieren heute bereits – durch stabilere Lieferketten, geringere Reputations- und Rechtsrisiken sowie besseren Zugang zu Kapital und Märkten.


Starke Standards schaffen zudem ein Level Playing Field. Sie verhindern, dass verantwortungsbewusstes Handeln zum Wettbewerbsnachteil wird, während kurzfristige Kostenoptimierung belohnt wird. Gerade exportorientierte europäische Unternehmen sind darauf angewiesen, dass Nachhaltigkeitsanforderungen verbindlich, vergleichbar und langfristig kalkulierbar sind.


Bürokratie abbauen – aber zielgerichtet

Natürlich müssen Regulierung und Berichterstattung praktikabel sein. Prozesse sollten effizient gestaltet und Doppelstrukturen vermieden werden. Unzweifelhaft waren viele der ursprünglich vorgesehenen Regelungen der europäischen Nachhaltigkeits-Richtlinien mit einem hohen Umsetzungsaufwand verbunden, der nicht nur kleine und mittlere Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen gestellt hat.


Die Antwort darauf kann jedoch nicht darin bestehen, zentrale Schutz- und Steuerungsmechanismen aufzuweichen oder ihre Umsetzung auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Vielmehr bietet sich hier eine Chance: Nachhaltigkeits- und Sorgfaltspflichten können als Instrumente verstanden werden, um Risiken frühzeitig zu erkennen, Entscheidungsprozesse zu strukturieren und Wertschöpfung gezielt resilienter aufzustellen.


Unternehmen, die diese Anforderungen nicht primär als regulatorische Pflicht, sondern als strategischen Handlungsrahmen begreifen, schaffen die Grundlage für langfristige Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Sinne sind klare Standards kein Risiko – sondern ein Angebot zur strategischen Weiterentwicklung.


Nachhaltige Lieferketten als strategischer Vorteil

Unternehmen, die ihre Lieferketten systematisch analysieren und weiterentwickeln, gewinnen mehr als regulatorische Konformität. Sie gewinnen Transparenz über Abhängigkeiten, können Risiken frühzeitig adressieren und gezielt in resilientere Strukturen investieren. Das stärkt nicht nur die eigene Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Glaubwürdigkeit gegenüber Kunden, Investoren und Mitarbeitenden.


Im Kontext der Transformation hin zur Netto-Null-Wirtschaft wird diese Perspektive immer relevanter. Klimaziele lassen sich nicht erreichen, wenn Emissionen, Umweltzerstörung oder soziale Risiken entlang der Lieferkette ausgeblendet oder ausgelagert werden. Glaubwürdige Klimastrategien und verantwortungsvolle Lieferketten gehören untrennbar zusammen.


Der Weg nach vorn

Europa steht vor der Aufgabe, wirtschaftliche Resilienz, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit gemeinsam weiterzuentwickeln. Aus der Perspektive der Beratungspraxis ist klar: Der richtige Weg führt nicht über nachträgliche Abschwächungen oder eine Reduzierung bestehender Ambition, sondern über die Gewährleistung einer konsistenten, planbaren und praxistauglichen Umsetzung klar definierter Standards. Dazu gehören intelligente Vereinfachungen in der Anwendung, gezielte Unterstützung bei der Umsetzung und vor allem Verlässlichkeit darüber, welche Anforderungen langfristig gelten.


Unternehmen, die heute Verantwortung übernehmen und Nachhaltigkeit strategisch verankern, werden langfristig besser aufgestellt sein. Die europäische Regulierung sollte diesen Weg unterstützen – nicht kurzfristige Korrekturen oder politische Rückzüge, sondern durch einen stabilen, kohärenten und verlässlichen Rahmen.

 


Über den Autor


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Sid Petersen verfügt über langjährige Managementerfahrung aus verschiedenen Führungspositionen, zuletzt bei der everi GmbH, sowie über fast ein Jahrzehnt Beratungserfahrung in der Strategieentwicklung. Seit 2023 ist er Geschäftsführer der First Climate Consulting GmbH. Mit seinem Team berät er Unternehmen zu Klimaschutzthemen- und ESG-Themen.

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