Was man über REDD+ wissen sollte und warum Waldschutzprojekte für die Eindämmung des Klimawandels wichtig sind
Von Marisa Kunze, Co-Head of Nature-Based Solutions bei First Climate
Das Jahr 2024 war für den größten Wald der Erde bisher eine regelrechte Katastrophe. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres sind 12.000 km2 des Amazonas-Regenwaldes durch Brände zerstört worden. Das entspricht einer Fläche, die größer ist als das Land Katar. Schwere Dürren in der Region haben das Problem weiter verschärft und im August erreichten die anhaltenden Waldbrände einen dramatischen Höchststand, wobei Zehntausende von Bränden wüteten und riesige Gebiete vernichteten. Im September rief Bolivien den nationalen Notstand aus.
Da ich im Atlantischen Regenwald in Brasilien lebe, wurde ich selbst indirekt Zeugin der verheerenden Brände. In den vergangenen Wochen hat sich die Luftqualität durch die anhaltende Rauchbildung extrem verschlechtert. Trotz meiner jahrelangen beruflichen Erfahrung im Bereich Klimaschutz und der täglichen Beschäftigung mit den Auswirkungen des Klimawandels erschüttern mich die Verwüstungen, die durch solche Katastrophen verursacht werden, nach wie vor zutiefst.
Der Zustand unserer Wälder ist für mich zweifellos alarmierend. Die FAO hat festgestellt, dass seit 1990 ein dramatischer Verlust von 420 Millionen Hektar Wald zu verzeichnen ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen nun vor einem frühzeitigeren vollständigen Kollaps des gesamten Amazonas-Regenwald-Ökosystems als ursprünglich angenommen.
Dabei handelt es sich nicht um „natürliche“ Katastrophen – die Entwaldung ist ein menschengemachtes Problem, das durch Aktivitäten wie Landwirtschaft, Viehzucht, Holzeinschlag, Bergbau und Infrastrukturausbau verursacht wird. Solche großflächigen Waldrodungen tragen zum Verlust von natürlichen Lebensräumen, zum Rückgang der biologischen Vielfalt und nicht zuletzt zu erhöhten Treibhausgasemissionen bei. Natürliche Faktoren wie Waldbrände und Dürren tragen zwar zur Entwaldung bei, doch in erster Linie ist das menschliche Eingreifen die Ursache des Problems. Eines ist sicher: Wir können nicht darauf hoffen, den Klimawandel aufzuhalten, wenn es uns nicht gelingt, unsere Wälder zu schützen. Und das nicht nur um des Klimas willen, sondern auch im Hinblick auf Artenvielfalt, Gesellschaft und Gesundheit.
Warum REDD+ entstand und warum wir es brauchen
Die Organisation, Verwaltung und Finanzierung des Waldschutzes ist jedoch keine leichte Aufgabe und erfordert beträchtliche Ressourcen. Aus diesem Grund wurde REDD (engl. Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) im Jahr 2013 als Lösung eingeführt, um die Klimafinanzierung für den Waldschutz zu mobilisieren. Das „+“ wurde später ergänzt, um zusätzliche Projektaktivitäten zu ermöglichen, die die natürliche Kohlenstoff-Speicherkapazität der Wälder weiter fördern.
Die Idee hinter REDD+ war es, den bestehenden Wäldern einen monetären Wert zu verleihen - Länder, Unternehmen und andere Einrichtungen konnten freiwillig zur Erhaltung der Wälder beitragen, indem sie Emissionsminderungsnachweise, auch bekannt als CO2-Zertifikate, kauften. Diese stehen für die Vermeidung von Kohlenstoffemissionen, die ohne die Durchführung der Projektaktivitäten infolge von Abholzungen oder degradierten Waldflächen entstanden wären.
Freiwillige Kohlenstoffstandards wie Verra haben Quantifizierungsmethoden und unabhängige Validierungs- und Zertifizierungsverfahren für REDD+ Projekte entwickelt, um sicherzustellen, dass die durch sie erzielten Emissionsminderungen oder CO2-Senkenleistungen messbar, zusätzlich und dauerhaft sind.
Die Rolle der Baselines bei REDD+
In der Praxis ist das natürlich nicht so einfach. Bei REDD-Projekten ist die Frage der genauen Berechnung der sogenannten „Projekt-Baseline“ wichtig. Damit ist die Ermittlung der Entwaldungsraten gemeint, die ohne die Durchführung des Projekts eingetreten wären. Die CO2-Zertifikate werden dann auf Grundlage der Differenz zwischen der im Ausgangsszenario erwarteten Abholzung und der im Rahmen der Projektaktivitäten tatsächlich festgestellten Entwaldung erstellt.
Die Baselines werden für die beiden Projekttypen, die unter REDD+ fallen, unterschiedlich berechnet:
Avoided Planned Deforestation (APD)
Gemeint sind geplante Abholzungen, die durch legale und genehmigte Aktivitäten wie Infrastrukturprojekte oder großflächige Landwirtschaft verursacht werden. CO2-Zertifikate für APD-Projekte werden auf der Grundlage der Kohlenstoffeinsparungen generiert, die durch die Vermeidung oder Modifizierung dieser geplanten Aktivitäten erreicht werden. Da sich diese Art von Projekten auf die geplante Entwaldung konzentrieren, ist es wesentlich einfacher, eine Baseline für sie zu definieren, als das bei AUDD-Projekten der Fall ist.
Avoided Unplanned Deforestation (AUD)
In der Vergangenheit waren Projektentwickler von REDD+ AUDD-Projekten für die Auswahl eines Referenzgebiets verantwortlich, das dem Projektgebiet unter ähnlichen biophysikalischen Bedingungen entsprechen sollte. Einige Kritiker wiesen darauf hin, dass dies in manchen Fällen zu Verzerrungen führen könnte: Manchmal wurden Referenzgebiete mit einem höheren Entwaldungsrisiko als im eigentlichen Projektgebiet ausgewählt, was die Ausgangsemissionen möglicherweise in die Höhe treiben und fehlerhafte Ausschüttungen von CO2-Zertifikaten zur Folge haben könnte. Auch gab es folglich Bedenken hinsichtlich der Zusätzlichkeit solcher Projekte, da sich die Frage stellte, ob derartige Waldschutz-Maßnahmen nicht auch ohne Projektaktivitäten hätten durchgeführt werden können. Dies war sicherlich nicht bei allen Projekten der Fall, reichte aber aus, um REDD+Baselines und auch die Zusätzlichkeit dieser Projekte in Frage zu stellen.
Verra reagierte darauf, indem sie bei der Überarbeitung ihrer REDD+ Baseline-Methoden im Jahr 2023 vom Ansatz der Referenzgebiete abrückte. Heute werden die Baselines von Sachverständigen-Arbeitsgruppen erstellt, die Entwaldungsraten im Verhältnis zur gesamten Entwaldung innerhalb des jeweiligen Hoheitsgebiets ermitteln, um Konsistenz und Genauigkeit zu erhöhen.
Aus meiner Sicht ermöglicht die neue Methode eine klarere Unterscheidung zwischen den Emissionseinsparungen, die tatsächlich aus den Projektaktivitäten resultieren, und denen, die andernfalls eingetreten wären. Das ist ein großer Fortschritt für REDD+ Projekte und den Waldschutz im Allgemeinen. Zwar ist das REDD+ Konzept einerseits nicht perfekt - andererseits ist es derzeit noch unmöglich, unsere heimischen Wälder ohne die finanziellen Einnahmen aus REDD+ Projekten im notwendigen Umfang vor weiterer Abholzung zu schützen. REDD+ aufzugeben hieße, unsere bedrohten Wälder im Stich zu lassen. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, die hohe Qualität und Integrität von Klimaschutzprojekten sicherzustellen.
Unternehmen können nun stärker darauf vertrauen, dass die CO2-Zertifikate, die sie aus einem REDD+ Projekt erwerben, die tatsächlich erzielten Emissionseinsparungen genau widerspiegeln. Dennoch sind nicht alle REDD+ Projekte von gleich hoher Qualität. Es gibt immer noch Unterschiede bei den Ansätzen der Projektentwicklung, und nicht alle sind gleichermaßen effektiv. Bei First Climate ergreifen wir als Projektentwickler umfassende Maßnahmen und verfolgen strenge Prozesse, um sicherzustellen, dass unsere Projekte höchsten Qualitätsstandards entsprechen. Dazu gehören ein detaillierter Projektplan, ein Verständnis für die Haupttreiber der Entwaldung, die Einführung zuverlässiger Monitoring-Systeme, ein effektives Risikomanagement, die direkte Einbindung der betroffenen Gemeinden und anderer lokaler Interessengruppen sowie die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in der Projektregion.
Mit REDD+ die Treiber der Entwaldung bekämpfen
Die Ursachen der Entwaldung sind vielfältig und können je nach Standort variieren. Dazu gehören die Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftliche Nutzflächen durch Brandrodung, Viehzucht, illegaler Bergbau, städtische Entwicklung oder der Brennholzbedarf. Um diese Treiber im Rahmen von REDD+ Projekten zu bekämpfen, müssen zunächst Strategien umgesetzt werden, die auf die eigentlichen Ursachen der Entwaldung abzielen und alternative Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung fördern.
Das kann jedoch eine komplexe Aufgabe sein: Häufig wird die Abholzung im Amazonasgebiet durch landwirtschaftliche Abolzungs- und Brandrodungs-Praktiken vorangetrieben. Da die Böden in diesen Gebieten jedoch sauer sind und daher für eine nachhaltige Landwirtschaft ungeeignet sind, bringen die umgewandelten Flächen nach ein oder zwei Jahren nicht mehr die gewünschte landwirtschaftliche Ertragskraft. Infolgedessen geben die Gemeinden diese Flächen oft auf und ziehen auf der Suche nach fruchtbarerem Boden in andere Waldgebiete. Ein Projekt kann zwar die Brandrodung in einem Schutzgebiet verbieten, doch das allein reicht nicht aus, um das Kernproblem zu lösen. Wenn keine nachhaltigen Alternativen angeboten werden, können sich solche Abholzungen einfach in ungeschützte Gebiete verlagern. Dieses Phänomen, das als „Leckage“ bezeichnet wird, schmälert die Gesamtwirksamkeit des Projekts und kann Stakeholder hinsichtlich des tatsächlichen Klimanutzens in die Irre führen.
Um dies zu vermeiden, müssen Projektentwickler Strategien implementieren, die diese Ursachen gezielt bekämpfen. Um beispielsweise gegen Brandrodungen vorzugehen, richten einige Waldschutzprojekte Agroforstsysteme auf degradierten landwirtschaftlichen Flächen ein, um die Anbaumethoden zu verbessern und die Produktivität der Landflächen zu erhöhen. Die Anpflanzung geeigneter Baumarten kann dazu beitragen, die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten, Schatten zu spenden und Ernteerträge zu steigern. Gleichzeitig werden etwa im Rahmen von Schulungen die Methoden des integrierten Pflanzenschutzes vermittelt. Agroforstsysteme speichern nicht nur mehr Kohlenstoff und sind widerstandsfähiger als die Subsistenzwirtschaft - sie verringern auch die Notwendigkeit, neue Waldflächen abzuholzen und schützen so die bestehenden Wälder.
Darüber hinaus ist die Einbindung von Interessengruppen in die Projektentwicklung und -umsetzung von entscheidender Bedeutung, um die lokalen Ursachen für die Zerstörung der Wälder zu identifizieren und abzuschwächen. Zuverlässige Monitoring-Systeme spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Überwachung von Landnutzungsänderungen und der Gewährleistung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen.
Risikomanagement bei REDD+ Projekten
Generell sollte ein Projekt im Rahmen des Validierungs- und Zertifizierungsverfahrens immer einer umfassenden Risikobewertung unterzogen werden. Dazu gehören beispielsweise die Bewertung der sozioökonomischen Treiber der Entwaldung, der Projektmanagementstrukturen und der finanziellen Stabilität des Projekts, sowie die Berücksichtigung möglicher nationaler oder regionaler politischer Veränderungen, Konflikte, Brände, Überschwemmungen und anderer Risiken.
Als Projektentwickler können wir Stakeholder-Konsultationen durchführen und arbeiten eng mit den lokalen Gemeinden zusammen, um ihre Bedürfnisse und Bedenken zu verstehen und zu berücksichtigen. Die Zusammenarbeit umfasst auch die Entwicklung robuster Projektmanagementstrukturen mit klaren Rollen und Zuständigkeiten, das Aufstellen eines Finanzierungsplans, der Risikorücklagen und Fonds für unvorhergesehene Ereignisse einschließt, die Entwicklung von Verfahren zur Berechnung des Brandrisikos, von Frühwarnsystemen, Präventions- und Managementschulungen sowie die Einführung von Brandschneisen, das Monitoring von klimawandelbedingten Auswirkungen und die entsprechende Anpassung von Projektstrategien zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit.
Es gibt jedoch auch bestimmte Risiken, die sich der Kontrolle der Projektbeteiligten entziehen. Um die sogenannten Umkehrrisiken, z. B. durch Waldbrände, abzudecken, müssen weltweit alle Waldschutzprojekte, die nach demselben Standard registriert sind, einen Teil ihrer Zertifikate in einen nicht dauerhaften Risikopuffer-Pool einbringen. Diese Zertifikate-Pool dient als Auffangbecken, das sicherstellt, dass selbst bei einem Verlust von Kohlenstoff durch unvorhergesehene Ereignisse die Gesamtintegrität der durch das Projekt erzielten Emissionseinsparungen erhalten bleibt.
Fazit: REDD+ ist ein wichtiger Bestandteil eines wirksamen Klimaschutzes
Wälder sind eine der bedeutendsten Kohlenstoffsenken der Erde und brauchen Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, um zu wachsen. REDD+ Projekte spielen eine entscheidende Rolle bei der Abschwächung des Klimawandels, indem sie Wälder schützen und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur sozioökonomischen Entwicklung der lokalen Gemeinden leisten, in denen die Projekte umgesetzt werden. Neue Technologien erleichtern das Monitoring, da sie präzisere Echtzeitdaten über den Zustand der Wälder und die Entwaldungsaktivitäten liefern. Die neuen Ansätze zur Ermittlung der Baseline auf Bezirksebene stärken das Monitoring ferner, indem sie einheitlichere und umfassendere Baselines auf regionaler Ebene festlegen, die Erfassung des Rückgangs der Abholzungen vereinfachen und die Waldschutzmaßnahmen gezielter auf die übergreifenden regionalen Strategien abstimmen.
Klar ist: Bei einem Waldschutzprojekt kann es niemals eine 100-prozentige Garantie für Perfektion oder Vollständigkeit geben. Klar ist aber auch: der Schutz unserer Wälder bleibt eine der wichtigsten Aufgaben dieses Jahrhunderts. Waldschutzprojekte können zwar komplex und risikobehaftet sein; dennoch können sie auch Schutzmechanismen und Pläne zur Risikominimierung umfassen und langfristig zum Klimaschutz beitragen. Neben dem Klimanutzen bieten diese Projekte auch vielfältigen Zusatznutzen, und unterstützen so die Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs), wie z.B. den Schutz der biologischen Vielfalt, die Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltigen Einkommensmöglichkeiten oder den Ausbau der Infrastruktur. Als Projektentwickler ist First Climate bestrebt, kontinuierlich hochwertige Projekte zu entwickeln und umzusetzen, die dem Klima zugutekommen und eine nachhaltige Entwicklung fördern.
Der Schutz unserer Wälder bildet die Grundlage für wirkungsvollen Klimaschutz. Es ist daher ermutigend zu sehen, dass immer mehr Unternehmen sich durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten aktiv für den Schutz der Wälder engagieren. Die Zukunft unseres Planeten hängt von den Maßnahmen ab, die wir heute ergreifen. Gemeinsam können wir einen Beitrag zum Schutz dieser unersetzlichen Ökosysteme leisten.
Über die Autoren und Autorinnen
Marisa Kunze ist Co-Head of Nature-Based Solutions bei First Climate. Sie verfügt über fast fünf Jahre Erfahrung als Projektentwicklerin auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt und hat sich auf Wiederaufforstung, Aufforstung, Mangrovenwiederherstellung und nachhaltige Landwirtschaft spezialisiert. Marisa hat einen Bachelor-Abschluss in International Business und einen Master-Abschluss in Management natürlicher Ressourcen von der Fachhochschule Köln in Deutschland. Derzeit arbeitet ihr Team aktiv an Aufforstungsinitiativen in Madagaskar, Äthiopien und Brasilien, an der Wiederherstellung von Mangroven in Indonesien, Kenia und Brasilien sowie an Projekten zur regenerativen Landwirtschaft in Deutschland, Kenia und Kolumbien.
Carlos Gameros arbeitet als Senior Project Manager im Nature-Based Solutions Team bei First Climate und entwickelt Klimaschutzprojekte für den freiwilligen Markt. Er hat einen Master-Abschluss in tropischer und internationaler Forstwirtschaft der Technischen Universität Dresden und einen Bachelor-Abschluss in Agroforsttechnik der Universidad Científica del Sur in Lima. Carlos ist spezialisiert auf kommerzielle und technische Due-Diligence-Prüfungen, Risikoanalysen und die Entwicklung von Early-Stage Emissionsminderungs- und/oder CO2-Senkenprojekten für den freiwilligen CO2-Markt. Bevor Carlos bei First Climate einstieg, entwickelte er REDD- und ARR-Projekte insbesondere in Lateinamerika und Afrika.
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